Unsere Zukunft hängt an der Natur

Jeder in Frankfurt kennt den Palmengarten. Ob als Heimat zahlloser Pflanzenarten, Ort, an dem die Hektik der Stadt zu verfliegen scheint, oder von den zahlreichen Veranstaltungen her, zu denen der Palmengarten das ganze Jahr über Besuchern die Welt der Botanik auf besondere Weise nahebringt. Die Biologin Dr. Katja Heubach ist seit Juli 2018 Direktorin des Palmengartens und des Botanischen Gartens Frankfurt am Main. In unserem Gespräch gewinnt man einen Eindruck, mit welchen aktuellen und vor allem zukünftigen Fragestellungen sich Katja Heubach in ihrer täglichen Arbeit beschäftigt. Der Palmengarten ist nicht nur der größte Garten seiner Art in Deutschland; hier werden die relevanten Themen für eine zukunftsfähige Stadt erforscht, gestaltet und gelebt.

Palmengarten_Tropen_Tropicarium_Regenwald_Natur_Nachhaltigkeit

Wie haben Sie Ihren Weg in den Palmengarten gefunden?

Hier im Palmengarten zu arbeiten, ist für mich persönlich mehr ein Zurückkommen, da ich hier im Biologicum in der Siesmayerstraße studiert habe. Nach dem Studium bin ich zunächst in die Praxis gegangen und habe im Norden Deutschlands für ein Beratungsunternehmen gearbeitet, das Gelder aus der Bingo! Die Umweltlotterie an gemeinnützige Projekte im Natur- und Umweltschutz sowie der Entwicklungszusammenarbeit vergeben hat. Als Biologin stand bis dato die Forschung im Mittelpunkt; für das Beratungsunternehmen war ich mit verschiedenen Ministerien, Verbänden und Trägern des Natur- und Umweltschutzes sowie der Entwicklungszusammenarbeit in Kontakt. Aus dem Austausch mit diesen Stakeholdern hat sich eine Affinität für Afrika entwickelt. Und tatsächlich ging es im Anschluss zurück nach Frankfurt, wo ich eine Doktorandenstelle erhielt, verbunden mit Forschungsaufenthalten in Westafrika. Der Fokus lag hierbei auf Ökosystemleistungen und der Biodiversität vor Ort. Wie setzt sich die Flora und Fauna zusammen und wie kann man sie möglichst nachhaltig und gleichzeitig für die Gesellschaft vorteilhaft nutzen? In meiner darauffolgenden beruflichen Station am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung - UFZ arbeitete ich viel mit dem Weltbiodiversitätsrat (IPBES) zusammen und kam so verstärkt von der Theorie ins Handeln. Nach Teilnahme an zahlreichen internationalen Verhandlungen mit verschiedenen Stakeholdern über entsprechende Maßnahmen, die Ökosystemleistungen zu verbessern und die Biodiversität zu erhalten, wurde ich dann von der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) abgeworben. Im Projekt ValuES (Methods for integrating ecosystem services into policy, planning and practice) konnte ich schließlich Forschung und Kommunikation verknüpfen, denn ganz zentral ging es darum, wissenschaftlich fundierte Handlungsmaßnahmen in die politische und gesellschaftliche Sphäre zu transportieren. Dass die Stelle als Direktorin des Palmengartens neu zu besetzen war, erfuhr ich damals durch den Anruf eines Kollegen, der mich aufforderte, mich zu bewerben. Das hat mich insofern überrascht, da ich in jener Zeit überwiegend in Verhandlungen saß und weniger das aktuelle Geschehen in Frankfurt verfolgte. Die Arbeit im Palmengarten an der Schnittstelle von wissenschaftlicher Betreuung und Wissensvermittlung in die Breite der Gesellschaft reizte mich aber enorm. Innerhalb von drei Tagen hatte ich meine Bewerbungsunterlagen zusammen. Und am Ende fiel die Wahl tatsächlich auf mich, gerade auch weil man mein Engagement und meinen Weitblick schätzte, der in meinem bisherigen Werdegang zum Ausdruck gekommen war. Ich habe das Glück, im Palmengarten mit sehr erfahrenen Menschen zu arbeiten, weswegen ich meine Tätigkeit auf die Organisationsentwicklung fokussieren kann; sprich, in welche Richtung der Palmengarten sich entwickeln sollte, um akuten und künftigen Herausforderungen, wie dem Klimawandel, demografischen Wandel und sozialen Bedarfen zu begegnen. Genau in dieser Sphäre fühle ich mich sehr wohl, da alle wichtigen Erfahrungen, die meinen bisherigen beruflichen Weg geprägt haben, hier auf besondere Art zusammenkommen.

Wie begegnen Sie im Palmengarten gesellschaftlichen Entwicklungen, wie dem demografischen Wandel oder dem Thema Inklusion?

Wir müssen grundsätzlich mit vielen Parametern arbeiten. Beginnen wir intern: Wir haben knapp 180 Angestellte in unterschiedlichen Gewerken. Grundsätzlich ist unser Team sehr heterogen aufgestellt, aber gerade Personen, wie Gärtnerinnen oder Handwerker üben eine körperlich anstrengende Tätigkeit aus, die im höheren Alter zunehmend schwieriger auszuführen sein wird. In den kommenden Jahren werden einige Angestellte altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden und trotz der Tatsache, dass wir eigentlich kein Nachwuchsproblem haben, wird hier eine Lücke entstehen. Der Grund dafür ist, dass wir aktuell keine Stellen besetzen können – wir haben einfach keine freien Stellen – aber in sieben bis zehn Jahren werden sie dann vakant. Dazwischen ist ein Vakuum, das wir überbrücken müssen. Dank des großartigen Teams im Palmengarten bin ich aber davon überzeugt, dass wir diesen längeren Übergang meistern werden.

Ein relevantes Thema ist die Inklusion der Menschen dieser Stadt. Ein Ort wie der Palmengarten ist natürlich nur bedingt barrierefrei. Im Gegensatz zu einem Gebäude, in dem Barrierefreiheit zu einem recht hohen Grad erzielt werden kann, gibt es in einem Garten naturgemäß Unebenheiten, beispielsweise einen Steingarten, der natürlich nicht für jeden begehbar ist. Wir sind jedoch bereits dabei, unsere Wege durch den Palmengarten so barrierearm wie möglich zu gestalten. Und auch in der Kommunikation versuchen wir, mit Leichter Sprache den Palmengarten inklusiver zu gestalten. Wir arbeiten mit der Stabsstelle Inklusion der Stadt Frankfurt am Main und dem Hessischen Ministerium für Soziales zusammen, um durch die vorhandene Expertise möglichst gute Angebote zu schaffen. Ein Meilenstein in Sachen Barrierearmut war die Umgestaltung unseres Sommersukkulentengartens, den wir pünktlich zum Jubiläum im Jahr 2021 eröffnen konnten. In dieser Hügellandschaft des Palmengartens können Pflanzen aus Südamerika, Afrika sowie Madagaskar erkundet werden. Seit 2021 können nun auch Menschen, die nicht mehr ganz so gut zu Fuß sind, diesen Ort entdecken.

Inklusion ist ja ein Thema für die ganze Gesellschaft. Wo sehen Sie besondere Handlungsmöglichkeiten für die engagierte Bürgergesellschaft beim Thema Inklusion?

Mir persönlich wäre es wichtig, für barrierearme oder –freie Angebote mehr Aufmerksamkeit zu schaffen und die Angebote möglichst zu bündeln. Es gibt bereits einen Stadtführer der Stadt Frankfurt zu entsprechenden Angeboten; daran kann man ansetzen und alle Menschen für die Möglichkeiten sensibilisieren und Zugänge schaffen. Ganz spontan fallen mir einige Aspekte ein, über die es sich lohnt nachzudenken: Alleine im Internet barrierefreie Angebote zu finden, fällt manchen Menschen bereits schwer. An dieser Stelle sollte man bereits ansetzen und mittels einer barrierearmen Internetseite jedem den Zugang zur Informationsbeschaffung anbieten.

Der Palmengarten ist nicht nur ein schöner Ort in Frankfurt. Sie verfolgen hier Ziele und initiieren Projekte. Möchten Sie diese einmal vorstellen?

Wir haben 2021 erstmals ein Jahresleitthema für den Garten ausgerufen: Blüten- und Bestäuberökologie. Wir haben uns gefragt, welche Themen die Welt und die Gesellschaft bewegen- und im Anschluss daran - wie wir die großen Herausforderungen adressieren und positiv besetzen können. Mit dem Leitthema Blüten- und Bestäuberökologie greifen wir nicht nur das Insektensterben auf, sondern machen auch bewusst, wie wichtig die Ökosystemleistung des Bestäubens für den Menschen ist. Ziel ist es, zu vermitteln, was diese Leistung für uns bedeutet und was man für die bestäubenden Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge tun kann. Um einen unmittelbaren Zugang und gleichsam einen Bezug zu Frankfurt zu schaffen, haben wir Kampagnen, wie „No bees, no Bembel“ gestartet, denn häufig erreicht man die Menschen besser, wenn man ihnen die Problematik und Lösungsansätze anhand eines lebensnahen Beispiels verdeutlicht. Und was liegt da näher als das Stöffche? – Ohne Bienen keine Äpfel und ohne Äpfel kein Ebbelwoi. Das verstehen Frankfurterinnen und Frankfurter doch auf Anhieb!

Wie vermitteln Sie diesen essentiellen Teil der Botanik im Palmengarten?

Im Palmengarten zeigen wir die Effekte und die Relevanz des Themas anhand verschiedener Module auf, die das Leitthema ausdifferenzieren: etwa mit dem Blüten- und Schmetterlingshaus und der zugehörigen Ausstellung „Abgestaubt! – von Blüten und ihren Besuchern“. Ein anderes Modul ist das Bestäuberbeet, eine vielfältige Blühwiese im Botanischen Garten. Außerdem haben wir den Goethegarten, der eigentlich eine Streuobstwiese ist, insektenfreundlich umgestaltet. Diese und noch viele andere Module haben einen enorm praktischen Nutzen, denn die Besucher können das hier im Palmengarten Gesehene bei sich zu Hause im Garten, auf dem Balkon oder im Innenhof praktisch anwenden.

Inwiefern beschäftigen Sie sich im Palmengarten mit den Folgen des Klimawandels?

Der Klimawandel bewirkt, dass wir in einen Zwiespalt zwischen zum Teil widerstreitenden Anforderungen geraten: So ist der Palmengarten einerseits als historischer Garten zu pflegen und zu erhalten, andererseits stellt sich immer deutlicher die Frage, welche Pflanzen wir künftig hier im Garten überhaupt sinnvoll beherbergen können. Wir möchten natürlich gerne den historischen Palmengarten bewahren und werden weiterhin möglichst viele Pflanzen- und Gehölzarten hier haben. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen wir viel probieren und beobachten. Unser Projekt KlimaWandelGarten befasst sich folglich mit den bereits beobachtbaren Schäden an Gehölzen und Stauden. Ziel ist es, die bestehenden Pflanzungen an bereits veränderte und prognostizierte Veränderungen anzupassen. Wir schauen uns also die Unterpflanzung von Bäumen an, die botanische Zusammensetzung von Pflanzungen, den Wasserbedarf, die Eigenbeschattung usw. Im Ergebnis wandeln wir dann beispielsweise artenarme Vielschnittrasen in lebendige Wiesen mit unterschiedlichen Blühaspekten um, die nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch wiederum die Ökosystemleistungen dieser Flächen – darunter natürlich besonders die Bestäubung – verbessern.

Grün in der Stadt ist wichtig für die Naherholung, die Naturerfahrung und das kulturelle, ästhetische Erleben.

Welche Leistungen erbringt ein botanischer Garten oder ein Palmengarten in einem hoch versiegelten städtischen Raum für die Bürgerinnen und Bürger?

Eine gute Frage. Sie sprechen damit die Qualifizierung der Ökosystemleistungen von Naturflächen in der Stadt an. Man unterscheidet hier vier Gruppen von Ökosystemleistungen: biophysikalisch, unterstützende, regulierende und kulturelle Leistungen. Weiterhin ist der Palmengarten auch ein identitätsstiftender Ort, den jeder in der Stadt kennt. In seiner Tradition ist der Palmengarten ein Bürgergarten, man könnte auch sagen: eines der ersten Bürgerbeteiligungsprojekte der Stadt Frankfurt. Denn Ausgangsbasis war die bürgerliche Aktiengesellschaft, die die exotische Pflanzensammlung des Herzogs von Nassau aufkaufte und darauf den Palmengarten gründete. Heute nun stellen wir die Frage nach der Quantifizierung und Qualifizierung der Ökosystemleistungen. Warum? Um ein Narrativ zu schaffen und den Menschen zu verdeutlichen, welche Leistungen ein Ort wie der Palmengarten erbringt. Grün in der Stadt ermöglicht ein gutes, gesundes Wohnen und stärkt den sozialen Frieden. Grün in der Stadt ist wichtig für die Naherholung, die Naturerfahrung und das kulturelle, ästhetische Erleben – der Palmengarten wird bei uns Stadtbewohnern gegenüber vollversiegelten, mit Hochhäusern bestandenen Flächen immer gewinnen!  

Aktuell wird viel über die Begrünung von Hochhausfassaden etc. gesprochen. Kann vertikale Begrünung Ihrer Meinung nach zur Verbesserung der Ökosystemleistungen eines Stadtgebiets beitragen?

Ich finde grundsätzlich, dass jegliche Begrünung erst einmal gut für die Ökosystemleistungen – und damit für den Menschen – ist. Gleichzeitig funktioniert nicht jegliche Begrünung. So stellt uns vertikale Bepflanzung durchaus vor Herausforderungen. In unserem Fokus steht aktuell die biodiverse Bepflanzung von Flachdächern, denn hier ist ein großes Potenzial vorhanden. Daher haben wir, finanziert von der KfW-Stiftung, ein vierjähriges Projekt zu „Lebendigen Dächern“ im Botanischen Garten begonnen, dass über die vergangenen zwei Jahre zahlreiche Dächer in der Stadt identifiziert und initial bepflanzt hat. Damit solche Maßnahmen erfolgreich sein können, ist vor allem ein interdisziplinärer Ansatz ein Muss. Wenn man Gärtner, Landschaftsarchitekten, Architektinnen und weitere Experten zusammenbringt, kann man die Möglichkeiten zur Verbesserung der Ökosystemleistungen im Stadtgebiet am besten ausschöpfen. Und grundsätzlich gilt: Je mehr Räume begrünt werden, desto besser können die einzelnen Räume voneinander profitieren und damit auch die gesamte Stadt. Und dabei muss es auch nicht immer eine große Fläche sein. Die Stadt bietet genügend Räume, auch minimal zu begrünen: Unzählige Balkone, Vorgärten, Dachflächen, Hausmauern und Baumscheiben können bepflanzt werden und so zu einem besseren Mikroklima und zur Erhöhung der Biodiversität in der Stadt beitragen.

Was kann der Einzelne tun, um die eigene Umweltverträglichkeit zu erhöhen?

Ein erster Schritt, gerade wenn man keine eigenen Flächen hat, ist, sich bestehenden aktiven Gruppen anzuschließen und einfach mitzuwirken. Gerade die Naturschutzverbände haben das Thema Stadtnatur seit vielen Jahren auf der Agenda und dazu zahlreiche Initiativen gestartet. Mit Blick auf das Gesamtverhalten sehe ich großes Potential im „zero waste“-Ansatz von Bea Johnson mit seinen fünf R‘s (refuse, reduce, reuse, repurpose, recycle), was so viel heißt wie: wenig anschaffen, wenig wegwerfen und Dinge, die man hat, so lange und immer wieder anders zu nutzen, bis es eben nicht mehr geht. Auch hier gilt also wieder das Credo: Das, was man hat, sollte man qualifizieren, also effektiv nutzen.

Sie sind Polytechnikerin. Welche Rolle sehen Sie für die Polytechnische Gesellschaft im Hinblick auf ein stadtnaturfreundliches Frankfurt?

Eine der Stärken der Polytechnischen Gesellschaft ist ihr weites Netzwerk. Hier können zahlreiche gemeinsame Projekte für mehr Stadtnatur und Bewusstseinsschärfung erarbeitet werden. Die Vernetzung in der Stadt ist auch bereits sehr gut, aber es gibt immer unausgeschöpfte gemeinsame Potentiale. Diese Netzwerke könnten wirklich genutzt werden, um modellhaft in der Stadt Projekte zu lancieren, vor allem in Kooperation mit den Menschen in den Stadtteilen. Eine Institution selbst wohnt nicht im Quartier und kann sich nicht täglich um eine wachsende Zahl an begrünten Orten kümmern, aber die Bewohner vor Ort können eingebunden werden, um ihre Stadt lebenswerter zu machen. Und solche Initiativen könnten die Polytechniker anstoßen und betreuen.

Frau Dr. Heubach, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Constantin D. Groß

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