Wie Urbanität entsteht

Hans-Erhard Haverkampf, geboren 1940 in Thüringen, studierte Ökonomie in Marburg, Bonn und Köln und verfasste seine Dissertation über kybernetische Modellbildung in der Sozialpolitik. Nach Tätigkeiten am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin und in der Stadtentwicklungsplanung in Nürnberg übernahm er 1975 das Amt des Planungsdezernenten und von 1977 bis 1989 das Amt des Baudezernenten der Stadt Frankfurt. In dieser Funktion war Haverkampf wesentlich am Wiederaufbau der Alten Oper und an Konzeption und Umsetzung des Museumsufers beteiligt. Später war Haverkampf unter anderem mit der technischen Projektleitung beim Bau des Bundeskanzleramts in Berlin betraut. Heute lebt er wieder in Frankfurt, ist als Buchautor tätig und engagiert sich ehrenamtlich im Kuratorium Kulturelles Frankfurt.

Herr Haverkampf, für die SPD in den Ämtern des Planungs- und später des Baudezernenten haben Sie vierzehn Jahre lang die Geschicke der Stadt Frankfurt mitgeprägt. Wie sind Sie eigentlich nach Frankfurt gekommen?

Nach meinem Studium bot mir Professor Hansmeyer am Deutschen Institut für Urbanistik (difu) die Leitung einer Forschungsstelle für angewandte Kommunalwissenschaften an. Eine meiner Aufgabe war es, als Koordinator zwischen dem Deutschen Städtetag und dem difu zu wirken. In dieser Scharnierfunktion habe ich das betrieben, was man heute als „Networking“ bezeichnet. Und so wurde ich vielen Akteuren bekannt. Während meiner Zeit bei der Stadt Nürnberg brachte mich dann der Zufall nach Frankfurt. Der damalige Oberbürgermeister Rudi Arndt war über die Frage der Besetzung der Stelle des Planungsdezernenten mit seiner eigenen SPD-Fraktion über Kreuz geraten. Den vorgängigen Planungsdezernenten, Hanns Adrian, hatte Hannover abgeworben. Der Leiter des Planungsausschusses im Stadtparlament erhob Anspruch auf das Amt, gehörte aber dem linken, dem - aus Sicht Rudi Arndts - ‚falschen‘ Flügel der SPD an. Arndt folgte dann dem Vorschlag der „Baracke“ (dem Sitz der Bundes-SPD in Bonn) und nominierte mich als Kandidaten. Dann ging alles sehr schnell. Ich fuhr nach Frankfurt und nahm an einem Parteitag der SPD teil, der die Stellenbesetzung basisdemokratisch zu entscheiden hatte. Ich bekam tatsächlich das Amt – mit nur einer Stimme Mehrheit. Die resultierte wohl aus dem Umstand, dass mein Konkurrent technische Schwierigkeiten mit seinem Mikrofon hatte.

Wie haben Sie die Stadt Frankfurt 1975 erlebt, als Sie Planungsdezernent wurden?

Dem damals verbreiteten Narrativ zufolge galt die Stadt als „Krankfurt“. Einer der Gründe war die Vielzahl an gleichzeitigen Baustellen im öffentlichen Nahverkehr, die das Unterste zuoberst kehrten. Allein die U- und S-Bahnbaustelle an der Konstablerwache ragte 40 Meter tief ins Erdreich. Die Baustellen gingen einher mit einer Verengung des Verkehrsflusses bei einer stetig wachsenden Zahl an Autos in Frankfurt sowohl der Pendler als auch der Bewohner. Die Folge war ein Chaos des ruhenden ebenso wie des laufenden Verkehrs mit einer Abgasbelastung, die heute zur sofortigen Sperrung der Innenstadt für den Autoverkehr führen würde. In unserem Garten in der Innenstadt z.B. konnten wegen des hohen Bleigehalts keine Gemüsepflanzen angebaut werden. Hinzu kamen Probleme auf anderen kommunalpolitischen Feldern: Obwohl massiv Sozialwohnungen gebaut wurden, befriedigte das die Nachfrage so wenig wie die in Fertigteilbauweise errichteten neuen Schulen und Kindertagesstätten.

Politisch kam die Parteispenden-Affäre der SPD hinzu und Rudi Arndt, der selbst unbescholten war, musste all diese Dinge gleichzeitig managen. Er hatte mich dazu auserkoren, ihm diese ganzen Planungskonflikte inklusive der ÖPNV-Baustellen vom Halse zu halten. In dieser Rolle habe ich auch die politische Tragik dieses rührigen Oberbürgermeisters miterleben müssen. Rudi Arndt war ein überaus sachkundiger und durchsetzungsstarker Administrator; in der Öffentlichkeit wurde das jedoch nicht sichtbar und damit auch nicht politisch honoriert. Er bekam das ganze Durcheinander in der Stadtregierung nach und nach in den Griff, sogar die Finanzaffäre der SPD. Er säuberte den Augiasstall, doch vom Staub, den er aufwirbelte, blieb etwas an ihm hängen. Dabei war er selbst nur ein Opfer des Geschehens. Dass seine Leistungen nicht anerkannt wurden, belastete Rudi Arndt sehr und führte schließlich bei den Kommunalwahlen 1977 zum Desaster für die SPD.

Frankfurt war im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden. In der Nachkriegszeit konkurrierten hier wie in vielen deutschen Städten zwei Ansätze beim Wiederaufbau: einerseits ein eher traditionalistischer Ansatz, der Silhouetten und Straßenverläufe der untergegangenen Städte wiederherstellen wollte, andererseits ein Ansatz in Tradition des Bauhauses, der den Neuanfang wollte, eine Stadt mit mehr Grün, mehr Luft und mehr Platz für den Autoverkehr. Erinnern Sie sich an diese Debatte?

Hitler noch hatte den Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten deutschen Städte zur Chefsache gemacht, indem er einen Wiederaufbaustab ernannte, der in der administrativen Verantwortung von Albert Speer stand. Übergangslos wechselte diese Fachelite des Städtebaus und der Planung nach dem Krieg in die auf allen Ebenen neu entstandenen Baubehörden. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass die Wiederaufbaupläne der ersten Nachkriegszeit noch faschistische Züge trugen.

Ein gutes Beispiel im Westen ist Kassel: In der frühen Nachkriegszeit gab es dort Pläne, eine neue, zentrale Achse mit dem Point de Vue „Herkules“ so anzulegen, dass sich daran die neuen Stadtviertel angliedern sollten, und zwar in Blöcken und eingestreuten Wohnhochhäusern im monumentalen Stil, so wie die Nazis sich das vorgestellt hatten. Diese stadtgestalterischen Konzepte findet man bereits in der Weltausstellung 1936 in Paris mit den einander gegenüberstehenden Pavillons der Sowjetunion und des nationalsozialistischen Deutschlands. Beide folgten sehr ähnlichen ästhetischen Prinzipien. Schon Ende der 1940er Jahren fand in Westdeutschland ein erster grundlegender Paradigmenwechsel statt, der die Modelle eines protofaschistischen Städtebaus im Nachkriegsdeutschland aus dem Ring warf. In Ostdeutschland hielt sich das protofaschistische Paradigma länger – etwa mit Projekten wie der Berliner Stalinallee oder in Eisenhüttenstadt. Doch mit Verzögerung kam in der DDR das „Bauen in vaterländischer Tradition“ wegen seiner viel zu hohen Kosten ebenfalls in Verruf und wurde durch den bekannten Plattenbau (WBS’70 und WBS’83) ersetzt. Geblieben ist von der Auseinandersetzung im Westen eine teilweise bis heute wirksame Phobie gegen einen Städtebau mit Achsenbildungen, selbst wenn er bewunderten Modellen des 19. Jahrhundert folgt.

Die Städte waren oberirdisch zerbombt, aber die unterirdischen Erschließungssysteme waren noch weitgehend in Takt. Diese einer ganz neuen Städtebaukonzeption anzupassen, wäre an fehlendem Geld und mangelnden Ressourcen gescheitert. Deshalb findet man nur wenige Beispiele für die idealtypische Realisierung eines traditionalistischen Bauens im Gegensatz zum offenen Bauen in den Innenstädten. Ein Beispiel sei jedoch genannt: Der Wettbewerb von 1958 zur Hauptstadt Berlin. Der bevorzugte Entwurf lief auf eine Art Campus-Anlage der Innenstadt hinaus. Zwischen der Siegessäule und dem Schlossplatz sollten nur Hochhäuser stehen, und dazwischen sollte es keinen neuen, verdichteten Mittelpunkt mehr geben. Der Verlust der Mitte, ja, jeder Zentralität war gewollt zu dieser Zeit. Die traumatische Erfahrung, dass im Krieg die dicht bebauten Innenstädte von Brandbomben und Feuerstürmen zerstört wurden, somit der Wunsch, künftig bombensichere Städte zu errichten, waren womöglich der Grund für diese heute unverständliche Bewusstseinslage.

Fazit dazu: Viele Innenstädte ließen sich städtebaulich nur in den Vorkriegsstrukturen wiederaufbauen. Flächensanierungen und erste Ansätze einer autogerechten Stadt griffen nur in Städten, in denen meist schon lange vor dem Krieg solche Pläne – wenn auch aus anderen Motiven – existiert hatten. Ein wichtiges Frankfurter Beispiel dafür ist – neben dem Verzicht auf den Wiederaufbau der Altstadt – das neu geschaffene Areal des Trierischen Hofes. Der Durchbruch der Berliner Straße steht zugleich für die frühe Konzeption einer autogerechten Stadt.

Warum sind bestimmte Städte einen eher konservativen Weg beim Wiederaufbau gegangen, wie Nürnberg, und warum orientierten sich andere Städte, wie Frankfurt, an dem Konzept der autogerechten und luftigen Stadt?

Da kommen verschiedene Einflussfaktoren zusammen. Nehmen wir Frankfurt. Frankfurt hatte in den 1960er Jahren mit Walter Möller einen Verkehrsdezernenten, der geradezu eine Lichtgestalt war – er wurde dann später auch Oberbürgermeister. Seine Vision war die Amerikanisierung Frankfurts. Er reiste mehrfach in die USA; in der Folge wurden in der Generalverkehrsplanung und in der Entwicklungsplanung große Siedlungsflächen und riesige Verkehrskreuze für den Individualverkehr als Stern-Ring-System ausgewiesen, die – soweit sie fertiggestellt wurden – noch heute das städtische Verkehrssystems prägen. Damals beabsichtigte man zudem, mit dem Heiligenstock einen weiteren Stadtteil des Typs Nordweststadt zu errichten. Nach der zunächst zurückhaltenden, konventionellen Baupolitik der ersten Nachkriegsjahre kam es so zu einem enormen städtebaulichen Umbruch unter Walter Möller. Unter seiner Ägide wurden auch das Terminal 1 des Flughafens gebaut und hohe Summen in die Messe investiert. Er war von der Idee beseelt, Frankfurt zum wirtschaftlichen Mittelpunkt der Bundesrepublik zu machen. Nach der Ära Möller entstand eine Leere, die Rudi Arndt nicht ausfüllen konnte, auch weil er damit ausgelastet war, die Regierbarkeit der Stadt wiederzugewinnen. Der Schatten Walter Möllers blieb riesig.

In anderen Städten, wie Münster, einer katholisch geprägten Stadt, oder dem konservativen Nürnberg kam es zu einer Reproduktion des Bestehenden und damit zum Wiederanschluss an die Geschichte. Städtebaulich ist Nürnberg ja zweifach geprägt: von der mittelalterlichen Struktur der Innenstadt einerseits und dem unter der Naziherrschaft gebauten Märzfeld mit der großen Volkshalle andererseits. In Nürnberg war die Vorstellung verbreitet, man könne die Nazi-Zeit zum Verschwinden bringen, wenn man sich beim Wiederaufbau konsequent an der Geschichte vor 1933 orientiere. Dagegen opponierten starke Kräfte, die zudem den Abriss aller Nazibauten forderten – Exponent war der Nürnberger Baustadtrat Goerl Anfang der 1970er Jahre. Mit der denkmalpflegerischen Unterschutzstellung des Naziareals durch den Freistaat fand die Diskussion schließlich ein Ende.

Sie kamen nach Frankfurt in einer Zeit, als heftige Kämpfe um das Westend ausgetragen wurden. Die Stadt hatte das Viertel für Großprojekte geöffnet – mit der Konsequenz, dass ein vom Krieg relativ verschontes Stadtviertel nun den Abrissbirnen ausgeliefert wurde und zahlreiche Hochhausprojekte in die Wege geleitet wurden. Das bekannteste: die Doppeltürme der Deutschen Bank, für die das Löwenstein’sche Palais, ein prachtvoller Bau des Neobarocks, weichen musste. Sie haben diese Entwicklung am Ende aufhalten können. Wie kam es dazu?

Das Westend ist ein großbürgerliches Viertel, und es bestand und besteht aus großen Parzellen, in denen meist singuläre Bauten – großbürgerliche Villen mit weitläufigen Gärten – viel Platz verbrauchten. Diese Ausgangslage machte das Viertel für Spekulation insofern interessant, weil hier leichter Flächen für große Bauprojekte zusammengelegt werden konnten – anders als in dicht bebauten Stadtteile wie Bockenheim, in denen wegen der kleinparzelligen Struktur Großprojekte unrealisierbar blieben. Die Spekulanten griffen im Westend zu, da sie mit dem Kauf von einer oder zwei Villen gleich die nötige Grundfläche zur Verfügung hatten, um dort lukrative Hochhäuser zu errichten. Walter Möllers Politik einer Wachstumsförderung auf Basis des tertiären Sektors, insbesondere der Geldwirtschaft, befeuerte diese Entwicklung. Hinzu kam der Einfluss von Hans Kampffmeyer, dem Planungs- und Baudezernenten in den entscheidenden 1950er und 1960er Jahren. Dessen Vater war politisch aus der Gartenstadt-Bewegung hervorgegangen und galt als überzeugter Gegner der Nazis. Kampffmeyer Junior war nicht nur fest in der SPD verankert, sondern auch in der Gemeinwirtschaft, die das ökonomische Standbein auch der SPD bildete.

Für ein knappes Jahr war Haverkampf 1984 Direktor der neu eröffneten Alten Oper.

Die Bank für Gemeinwirtschaft pflegte nach dem Krieg intensive Beziehungen nach Israel. Über diese Verbindungen kamen Investoren nach Frankfurt, die viel Kapital in die neuen Bauprojekte im Westend steckten und damit die Spekulation anheizten. Oft halfen dabei persönliche Kontakte zu Kampffmeyer. So entstand eine Reihe von Großprojekten, die zum Teil auf intransparente Weise genehmigt wurden. Wegen der beginnenden Unruhe in der betroffenen Bevölkerung stieß Kampffmeyer in der SPD bald auf Widerstände und wurde schließlich von Walter Möller kurz vor seinem Tode abgelöst. Der Spekulationsboom ging jedoch weiter und zog noch mehr Investoren an, was zur Überhitzung des Marktes und zu den berüchtigten Kämpfen im Westend führte – bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit Hausbesetzungen und Straßenschlachten.

Es war schwierig, diese Situation zu befrieden. Möglich wurde es nur, indem das Planungsdezernat – bei ungewissen Ausgang – ein ambitioniertes Projekt anging: Die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans für das gesamte Westend, fast zwei Quadratkilometer umfassend, und in dieser Flächengröße gespickt mit vielen „Leichen im Keller“, also problematischen Zusagen an Investoren zum Teil noch aus den 1960er Jahren. Durch die Schaffung eines neuen Wohngebietstyps „WA*“ gelang es schließlich, den Bebauungsplan vor den Verwaltungsgerichtshof bestandsfest zu machen. Die Machtverhältnisse waren umgekehrt, und die Lage im Westend beruhigte sich, auch weil das Café Laumer gerettet werden konnte.

Wenn ich große Investorenprojekte in Frankfurt oder anderswo sehe, habe ich manchmal den Eindruck: Es entstehen immer wieder inspirationslose Betonkästen zum Wohnen mit etwas Edelschnickschnack dran. Kann in Investorenprojekten keine schöne Architektur entstehen?

Ja schon, aber im Mainstream entsteht eher Landläufiges. Viele Investoren streben keine Projekte an, die den Pritzker-Preis gewinnen könnten. Als Bauträger stehen sie meist in langjährigen Lieferbeziehungen zu großen Fonds, Versicherungen oder Kapitalsammelstellen, deren primäres Ziel in der Kostengunst, der Wartungsarmut und dauerhaft gesichertem Vermarktungspotential liegt. Hässliches verkauft sich wiederum schlecht, aber zu exponierte Architektur ebenfalls.

Andererseits gibt es mutige Investoren, die gern in der gestalterischen und haustechnischen Innovation die Nase vorn haben. Sie setzen auf Pionier-Kundschaft. Darin mischt sich ein weiteres Motiv: sich persönliche Denkmäler zu schaffen, die der Friedhof nicht bieten kann. Jeder Mensch stellt sich die Frage: Was bleibt von mir, wenn ich tot bin? Insofern kenne ich einige Investoren, die aus dieser Motivation heraus Projekte auf die Spur gebracht haben, bei denen von vorneherein klar war: Das kann sich nicht rentieren, aber es soll ein Leuchtturm-Projekt werden.

Die kurioseste Figur dieser Spezies war sicherlich der Frankfurter Baulöwe Jürgen Schneider. Schneider hatte einen großartigen Erfolg mit einem hervorragend restaurierten historischen Gebäude, einem gründerzeitlichen Geschäftshaus am westlichen Rand des Willy-Brandt-Platzes. Schneider hatte die Immobilie zuvor vom Land Hessen günstig erworben, dann für 450 Millionen DM an japanische Investoren verkauft und damit guten Gewinn erwirtschaftet. Später folgte ein Projekt, dem man schnell anmerkte, das bleibt utopisch: die Zeilgalerie Les Facettes. Fachleute urteilten: zu viele Etagen und allesamt zu klein. Als sich diese Prognose zu erfüllen drohte, lieferte Schneider überzogene Flächenberechnungen an die Finanzinvestoren des Projekts. Es folgte auch noch das Aus für Auerbachs Keller in Leipzig. So endete seine Geschäftsidee, außergewöhnliche Bauten zu außergewöhnlichen Preisen zu vermarkten, unrühmlich.  

In den 1980er Jahren regierte der CDU-Politiker Walter Wallmann als Oberbürgermeister, die SPD stellte mit Hilmar Hoffmann den legendären Kulturdezernenten; die beiden haben die Stadtlandschaft maßgeblich geprägt. Damals waren Sie Baudezernent und haben eines der wichtigsten Projekte jener Zeit mitgestaltet: das Museumsufer. Wie kam es zu dieser Idee?

Walter Wallmann war ein geachteter, konsequenter und aktiver Politiker, der sich auch schon vor der Frankfurter Zeit als CDU-Abgeordneter auf der Bonner Ebene großen Respekt erworben hatte. Nur eben in Frankfurt kannte ihn außer in der Führungsebene der CDU kaum jemand. Dass ausgerechnet er die chaotische Stadt mit ihren ewigen Baustellen während seiner Amtszeit befriedete und ihr ein neues Selbstbewusstsein lieferte, gehörte zu den Überraschungen, die die Politik immer wieder bietet. Ihm kam entgegen, dass auch die zähesten Baustellen irgendwann einmal an ihr Ende kamen und das Bild einer Stadt Realität werden ließen, das vorher bei Betrachtung der Planungen von Architekten und Ingenieuren nur ungläubig zur Kenntnis genommen worden war. Wallmann war der Mann, der die Stimmungen des in unserer Stadt breit gestreuten Mittelstandes aufnahm und in der ihm eigenen Mischung aus Liberalität und Konsequenz zum Gegenstand seiner Stadtpolitik machte. Schnell erkannte er, dass Bauprojekte wie der Wiederaufbau der Alten Oper und das Museumsufer nach der langen Zeit des Darbens in hohem Maße identitätsstiftende Wirkung erzeugten, die ihm politisch gutgeschrieben wurden.

Am Sachsenhäuser Ufer stehen schöne alte Villen, umgeben von großzügigen Parkanlagen. Sie beherbergen heute das Filmmuseum, das Architekturmuseum oder das Museum der Weltkulturen. Wie hat es die Stadt geschafft, die Handhabe über diese Immobilien zu erlangen?

Keiner weiß mehr, woher der Begriff Museumsufer ursprünglich kam, aber der OB erkannte das politische Potenzial und reklamierte den Begriff für sich. Die Finanzen der Stadt ließen in den End-Siebzigern bis zur Wende 1989 einen Spielraum für große Projekte. Es scheint aus heutiger Sicht ja so, als sei dann das Projekt „Museumsufer“ systematisch geplant und umgesetzt worden. Das ist jedoch nicht der Fall. Das „Museumsufer“ ist ein Lehrbeispiel dafür, dass ein großes Projekt eben nicht einfach geplant und umgesetzt wird, sondern in einer eigenen Mischung von Zufällen, plötzlichen Gelegenheiten, dann auch wieder zielgerichtetem Handeln eine Eigendynamik entwickelt, der man sich nicht entziehen kann. Dazu gehört auch der Erwerb von Grundstücken. Es ist keinesfalls so, dass alle Blütenträume in Erfüllung gingen. So ist etwa das Museum für Weltkulturen insbesondere an Grundstücksfragen in der Metzlerstraße gescheitert. Das jetzige Filmmuseum ist aus einer Paketlösung zwischen Stadt und Eigentümer heraus entstanden. Die an sich für Museumsnutzungen zu kleine Nachbarvilla (heute Deutsches Architekturmuseum DAM) verdankt letztlich ihre Gebrauchsfähigkeit der Erweiterung ihres Grundstücks nach hinten (heutige EG-Halle) dank wiederum einer Paketlösung, die vom damaligen Büroleiter des Oberbürgermeisters mit dem Liegenschaftsamt zusammen erzielt wurde. Sie erinnern sich richtig, das war seinerzeit Dr. Alexander Gauland. Ich könnte noch darauf verweisen, dass das Museum für Moderne Kunst wiederum einer Paketlösung zu verdanken ist, die der Kollege Stadtkämmerer Ernst Gerhardt verwirklicht hat. Entscheidend aber blieb immer die unangefochtene Autorität Dr. Wallmanns, die ihm einen Freiraum des Handelns verschaffte, wie sie unter heutigen Verhältnissen atomisierter politischer Willensbildung nicht mehr möglich erscheint.

Es gab auch einmal die Idee, ein Technikmuseum in Frankfurt zu etablieren, unter anderem vorangetrieben vom Förderkreis Technik- und Industriegeschichte e.V., der eine große Sammlung technischer Geräte und Maschinen zusammengestellt hatte. Daraus ist nichts geworden. Hätte nicht die Großmarkthalle ein guter Standort für ein Technikmuseum werden können analog zur Tate Modern in London, die in einem alten Kraftwerk untergebracht ist?

Zur Tate Modern Gallery gelangen Sie über die Fostersche Millennium Bridge und betreten zuerst den riesigen Kohlebunker des früheren Kraftwerks. An die Probleme der Tate, dieses Raumvolumen mit Kunst zu bespielen, mag man denken, wenn man dieser Tage die EZB betritt. Soweit ich die Sammlung kenne, hat sie sicherlich einen Umfang und eine Qualität, die ihr ein Renommee für die Vergegenwärtigung der Industriegeschichte der Untermainregion sichert. Doch für die Unterbringung eines Technikmuseums wäre der Gemüsedom wohl ein wenig zu groß geraten gewesen. Hinzu kommt: Der Bedarf an Museen ist aktuell, aber sicher nicht für immer, an eine Sättigungsgrenze geraten. Politischen Mehrwert würde man mit dem Projekt zurzeit nicht erreichen. Realistisch wäre aber ein begehbares Depot mit Wechselausstellungen im Historischen Museum.

In Ihre Amtszeit als Baudezernent fiel eine andere bemerkenswerte Entscheidung: die Neugestaltung des Römerbergs. Dieser Platz war in den 1970er Jahren nur noch ein Schatten seines hochmittelalterlichen Selbst. Der Römer war zwar wiederaufgebaut, aber die Brachfläche bis zum Dom hin wurde als Parkplatz genutzt. Nordöstlich erhob sich der Neubau des Technischen Rathauses, südwestlich der Neubau des Historischen Museums, beide im Stil des Betonbrutalismus. Wie kam es zur Rekonstruktion der Ostzeile mit ihren Fachwerkhäusern?

Die Idee, die Ostzeile in historischen Formen zu gestalten, wurde sehr stark von Wilfried Ehrlich, einem Redakteur der F.A.Z., befeuert. Er hat die bürgerschaftliche Bewegung ins Rollen gebracht. Der Oberbürgermeister erkannte das politische, aber auch das stadtgestalterische Potential dieses Vorhabens und schloss sich der Forderung an. Eingebettet wurde die Entscheidung in einen Wettbewerb zum Dom/Römerberg, aus dem auch die Kunsthalle Schirn und die postmodernen Wohngebäude entlang Saalgasse hervorgingen. Natürlich gab es Kontroversen um dieses Projekt. Das Vorhaben, die Ostzeile wiederaufzubauen, warf aber auch praktische Fragen auf, etwa, inwiefern sich in diesen Gebäude Wohnungen einrichten ließen, die haustechnisch heutigen Standards genügten. Auch die Zugänglichkeit einschließlich der Flucht-Treppenhäuser stand in Frage. Dieses Problembündel ließ sich nur durch einen rückseitigen modern gestalteten Anbau lösen.

Der heutige Trend zum Wiederaufbau verlorener Leitgebäude und Stadträume - in Frankfurt zum Beispiel das Thurn-und-Taxis-Palais, die klassizistische Stadtbibliothek am Main und die neue Altstadt - ist auch ein interessantes kulturgeschichtliches Phänomen. Wie erklären Sie es? Und was halten Sie davon?

Es geht der Stadtbevölkerung darum, in ihrem Habitat gebaute Symbole der Selbstvergewisserung neu zu schaffen, insbesondere dann, wenn sie von Kriegsgegnern zerstört wurden. Die Wirrnisse unserer Welt nehmen eher zu als ab. Historisch aufgeladene „Leuchttürme“ schaffen deshalb subjektive Sicherheit, weil sie Kontinuität vermitteln. Es wird bestätigt: das ist unser Territorium, schon immer gewesen.

Leuchttürme in diesem Sinne bewirken auch Bedeutungsüberschüsse, weil z.B. große historische Dome von der zivilisatorischen Kompetenz der Wir-Gruppe zeugen. Die geschichtliche Bedeutung dieser Gebäude färbt auf uns, ja auf jeden von uns ab. Wenn solche Symbole irgendwann ihren kollektiven Bedeutungsgehalt verlieren (Beispiel: die Wacht am Rhein, das Völkerschlachtdenkmal), so bleibt gleichwohl der ungewöhnliche ästhetische Überwältigungsreiz bestehen.

Frankfurt geht mit seinem kulturellen Erbe oft sehr locker um. Innerhalb des Anlagenrings liegen noch einige historische Gebäude, die viel zu wenig bekannt sind, die „Krawallschachtel“ in der Nähe der Konstablerwache oder das klassizistische Stammhaus der italienischen Patrizierfamilie Pfeiffer-Belli in der Neuen Mainzer Straße. Sie führen ein Schattendasein. Sachsenhausen hat noch ein Altstadtviertel, dessen Zustand seit Jahren beklagt wird. Warum tut sich Frankfurt so schwer damit, sein originales Kulturerbe zu erhalten?

In Sachsenhausen gibt es ja immerhin das älteste gotische Haus Frankfurts; es liegt in der Schellgasse und ist Anfang der 1980er Jahre renoviert worden. Sie haben Recht, Sachsenhausen ist kein Ruhmesblatt. Die Frage ist aber, was die Stadt tun kann. Die Liegenschaften befinden sich weitestgehend in Privatbesitz, ein paar städtische Grundstücke gibt es zwar, aber die Frage ist eben, wie man die privaten Immobilieneigentümer zum Handeln veranlasst. 1976 hat das städtische Denkmalamt, das damals noch zum Planungsdezernat gehörte, unter Leitung von Dr. Schomann erstmals eine Liste von 3.000 Liegenschaften für ganz Frankfurt erstellt, die heute unter Denkmalschutz stehen und damals viele erhaltenswerte Bauten auch in Sachsenhausen gesichert haben. Aber Sie haben Recht, das bleibt in Dribbdebach ein wunder Punkt.

Bauherren sind wohl nicht immer begeistert über den Denkmalschutz?

Die Landesdenkmalbehörde in Wiesbaden geht da, grob skizziert, wie folgt vor: Sie verschickt ein Schreiben an den Eigentümer mit der Information, dass geplant sei, sein Gebäude unter Schutz zu stellen. Oft erst mehrere Jahre später erfolgt die eigentliche Eintragung in das Denkmalbuch. Dieses rein informative Schreiben bewirkt aber bereits die Erhaltungspflicht des Gebäudes, obwohl es keinen Rechtmittelbehelf enthält. Das habe ich nie so richtig verstanden.

In der Neuen Altstadt können die Frankfurter nun „Stadt“ auf eine neue Art erleben; sie zeichnet sich vor allem durch ihre kleinteilige Struktur aus. Ich glaube, diese Kleinräumigkeit empfinden viele als attraktiv, weil dem Auge auf engem Raum viel geboten wird und das Stadtbild sehr abwechslungsreich wirkt. Können wir aufgrund der Profitabilitätszwänge, unter denen viele Projekte entstehen, keine Stadträume dieser Art mehr schaffen?

Schwieriges Thema… Ich weiche mal auf Italien aus: Pienza in der Toskana, eine Stadtgründung von Pius II.; da wohnen heute noch etwa 500 Leute. Pienza ist der kleinste Stadtraum, den man sich vorstellen kann, eine perfekte Idealstadt in Kleinstadtgröße. Das wäre also ein Beispiel für die Kleinteiligkeit, die Sie meinen. Auch Favellas sind kleinteilig, auch Frankfurts Altstadt vor dem Krieg war kleinteilig.  Während die Kleinteiligkeit in Pienza gelungen erscheint, wirkte z.B. die Frankfurter Altstadt bedrückend, unhygienisch, als ein letztlich nicht reparierbarer Substandard, eine romantische Traditionsinsel nur für Touristen. Kleinteiliges kann man auf Dauer nur gut ertragen, wenn es sich mit dem großen Maßstab spannungsreich verbindet. Man findet Beispiele dafür in Holland, zum Beispiel Hoorn mit seinem verschachtelten Hafen, viel zu groß für die kleine Stadt, nur historisch erklärbar und dadurch mit einer Innenstadt verzahnt, die sich durch das Zusammenspiel von Weite und Enge auszeichnet.

Solche Altstädte sind wie ein Wohnzimmer, in das Sie hineingehen können, ohne anzuklopfen. In diesen urbanen Wohnzimmern bestehen halböffentliche Räume, die der Stadt eine besondere Prägung geben. Halböffentliche Räume sind sehr wichtig. In Frankfurt haben wir so etwas mit dem Innenhof des Kapuzinerklosters am Liebfrauenberg. Aber das war‘s fast auch schon. Wenn solche Räume gut in Großstrukturen eingebunden sind, kann meines Erachtens diese Atmosphäre entstehen, die Ihnen vorschwebt. Man hat zuletzt den mehr oder weniger gelungenen Versuch unternommen, einen solchen halböffentlichen Raum hinter dem Romantikmuseum zu schaffen. Kleinräumigkeit ausschließlich wirkt jedoch letztlich beengend. In Siena gelangen Sie aus dem kleinteiligen Gassengewirr durch einen simplen, tunnelartigen Pfortengang auf die große Piazza mit dem Rathausbau, der Kathedrale – ein wuchtiger, überwältigender Eindruck von „Großteiligkeit“: Urbanbität.

Wie stark kann die kommunale Politik über Instrumente wie Stadtentwicklungsplanung, Stadtbaupläne und Gestaltungssatzungen auf das konkrete Baugeschehen in der Stadt einwirken?

Sie müssen immer die Rolle der Eigentümer bedenken. Wie kann man einen Eigentümer zu bestimmten Maßnahmen bewegen? Der Hemmschuh der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes wirkt in alle Satzungen hinein, so dass die Enteignung als Ultima Ratio kein Drohpotential liefert. Deshalb verlegen sich Bauämter lieber auf Verhandlungslösungen. In meiner Zeit als Planungsdezernent haben wir den „städtebaulichen Vertrag“ erfunden, der ins Baugesetzbuch Eingang gefunden hat. Die ehemalige Dresdner Bank wollte damals ihr Gebäude im Bahnhofsviertel um sieben Geschosse aufstocken. In langen Verhandlungen konnten wir erreichen, dass ein neuer Platz vor dem Gebäude entstand und die Flanke zur Kaiserstraße komplett baulich geschlossen wurde. Darüber wurde ein Vertrag geschlossen, und alle waren zufrieden. Der Platz hat heute noch nichts von seiner Aufenthaltsqualität eingebüßt. Auf dem Verhandlungsweg geht es meist um die große Kunst des Pakete-Schnürens und die Fähigkeit zu einer Geduld, die die Gegenseite strapaziert.

Herr Haverkampf, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Andreas Pesch